Sandra Frimmel

Kunst oder Feuerlöscher?

Modernismusdebatten in sowjetischen Karikaturen der Tauwetterzeit

Kann eine Kunst, die gar nicht existiert, die Wahrnehmung ebendieser Kunst beeinflussen?

Eine solche Frage scheint zunächst absurd. Doch genau darum drehen sich unzählige russische Karikaturen zwischen 1947 (dem Aufkommen des Abstrakten Expressionismus, der künstlerischen Waffe der USA im Kalten Krieg) und Mitte der 1960er Jahre (dem Ende des sogenannten Tauwetters). Satirezeitschriften wie Krokodil oder Perec veröffentlichten in Millionenauflage Werke der berühmtesten Karikaturisten, die sich über westliche Kunstströmungen lustig machten. Abstrakte Kunst stelle alles auf den Kopf, sei nur ein billiges Zufallsprodukt, Scharlatanerie und mindestens so verderblich wie Religion, und obendrein so unverständlich, dass sie leicht mit dem Lüftungsschacht oder dem Feuerlöscher zu verwechseln sei. Während die so humorvollen wie spitzzüngig diskreditierenden Karikaturen für viele russische Künstler eine der wenigen Informationsquellen über das künstlerische Schaffen jenseits des Eisernen Vorhangs bedeuteten, war die kritisierte Kunst jedoch nur eine imaginierte: Die Karikaturisten hatten sie in den seltensten Fällen jemals selbst gesehen. Sie stellten sich die Kunst, die sie der Lächerlichkeit preiszugeben hatten, lediglich vor, entwarfen sie neu für den russischen Betrachter.

Diesem ironischen Wechselspiel aus Blossstellung und gleichzeitiger Informationsvermittlung widmet sich das Forschungsprojekt «Modernismusdebatten in sowjetischen Karikaturen der Tauwetterzeit». Diese Karikaturen wurden einerseits für kulturelle Propaganda instrumentalisiert – indem durch sie ein normierter Kunstgeschmack «gemacht» wurde. Andererseits dienten sie durch die Adaption «westlicher» Kunstströmungen und -theorien als alternative Plattform für künstlerische und somit auch politische Kritik. Kunst, Politik, Soziologie und Geschichte werden hierbei zusammengebracht, um die Vielschichtigkeit des Denkens in satirischen Bildern vor dem Hintergrund der politischen und kulturellen Zweiteilung der Welt zu zeigen.


Dr. Sandra Frimmel ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im EU-Projekt «Performance Art in Eastern Europe» am Slavischen Seminar und Koordinatorin des Zentrums Künste und Kulturtheorie der Universität Zürich. Mehr



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