Mündliches und schriftliches Kommunizieren von Wissen existieren in Indien neben- und in Wechselwirkung miteinander. Das geschriebene Wort hatte nicht immer diesen Stellenwert. Als andere Kulturen ihre literarischen oder religiösen Texte schon lange in Schriftsystemen übermittelten, befanden indische Gelehrte, dass für Wissenserwerb und Wissenserhalt die Geistes- der Schriftkultur vorzuziehen sei. In den ersten eineinhalb Jahrtausenden indischer Literaturgeschichte fand ihr Denken zunächst einmal ohne Schreiben statt. Umfangreiche und komplexe Texte wie der Ṛgveda (1028 Preislieder) oder die erste Grammatik (rund 4‘000 Lehrsätze) wurden zunächst ausschliesslich gedanklich verfasst und mündlich überliefert. Die frühesten uns bekannten schriftlichen Zeugnisse datieren erst in das dritte Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung und dienten Verwaltungszwecken. Schreibendes Denken ist nach heutigem Forschungsstand erst um die Zeitenwende durch Birkenrinden-Handschriften belegt. Einmal eingeführt, hat sich das Schreiben als Kulturform schnell etabliert – das mündliche Komponieren und Tradieren hat es aber nie ersetzt.
In diesem Beitrag erfahren Sie, wie Schüler ein mehrjähriges Textstudium ohne Schreiben meistern konnten, wer sich zuerst für die Nutzung des neuen Mediums Schrift entschied, wie es ein Alphabet ohne Schrift geben kann und wie die heute am meisten genutzte indische Schrift – die Devanāgarī – funktioniert.
Anschliessend sind Sie dazu eingeladen, das Gehörte mit unserem Memory «Mündlichkeit und Schriftlichkeit in Indien» spielend zu vertiefen.
Samantha Heimgartner ist Doktorandin am Asien-Orient-Institut der Universität Zürich und Assistentin der Indologie.
Die Indologin Dr. Annemarie Mertens ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Asien-Orient-Institut der Universität Zürich und beschäftigt sich mit Literatur und Kultur des klassischen Hinduismus. Mehr
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