Sonntag 11:00, 23. September 2018

Zeichnen als Sprache, wie wir in Bildern denken

Matinée mit Pierre Thomé mit Bilderbrunch und Vortrag

Wo anfangen, fragt sich der Moskito in der Nudistenkolonie. Mit Fragen zum Beispiel: Sind wir, was wir sehen, und wenn wir sehen, sehen wir wirklich, was vor uns ist, oder sehen wir nur, was wir bereits wissen?

In der Schule, nach Jahren im Zeichenunterricht, haben die meisten gelernt, dass sie nicht zeichnen können. Fragt man Erwachsene, ob sie zeichnen können, so antworten neun von zehn, nein, das können sie sicher nicht. Als Lehrer gehe ich davon aus, jeder kann zeichnen: Denn Zeichnen ist eine Sprache.

Früher wusste man so etwas noch, man dachte dabei an Pläne, Karten, Ornamente und Kunsthandwerk. Heute erkennen wir im Zeichnen die Möglichkeit, sich selbst beim Denken zu beobachten. Das Wort mag präziser sein als die Zeichnung. Aber wo beide sich ergänzen, bekommt Sprache die Möglichkeit über sich selbst hinauszuwachsen Und wenn manche meinen, sie müssten «gut» zeichnen, ihr Publikum beeindrucken, dann liegen sie falsch. Am besten zeichnet, wer etwas zu sagen hat. Kinder wissen, dass Angeber anstrengend sind.

Wer übers Zeichnen redet, muss übers Sehen sprechen, darüber, wie wir sehen, wie wir die Umgebung mit Händen und Füssen erfahren. Es muss mit dem Missverständnis aufgeräumt werden, dass wir nur mit den Augen sehen, die Welt einzig durch ein winziges Loch entdecken. Denn wir sehen mit allen Sinnen, wir sehen indem wir die Welt erfahren - und das kann man alles zeichnen. Wenn ich vom Zeichnen als Sprache spreche, dann rede ich davon.

Eine visuelle Vorstellung, und sei sie noch so vage, konkretisiert sich im Akt des Zeichnens: Wie das geht, lässt sich vermitteln, so wie Musik, Tanz, Reden und Schreiben. Zeichnen lernen heisst, lernen durch die Hand zu denken, zu sehen, was allgemein übersehen wird. Indem man sich von generischen Bildern und anonymen Sichtweisen emanzipiert, schult das Zeichnen die eigene Achtsamkeit, führt einen zu den eigenen Bildern.


Pierre Thomé arbeitete als Illustrator, leitet seit 2002 die Studienrichtung Illustration an der Hochschule Luzern – Design & Kunst, publiziert Bücher wie «Zeichner als Reporter» oder «In Bildern denken», und zeichnet manchmal Witze, die niemand versteht. Mehr






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